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Forschung - 07.12.2021 - 00:00 

Weiterbildungsplattform soll pandemiebedingte Bildungslücken schliessen

Das Institut für Wirtschaftsinformatik an der HSG treibt die Kreislaufwirtschaft von Fähigkeiten und Kompetenzen voran: In Zusammenarbeit mit der Plattform des Startups «Evrlearn» arbeiten ab Februar 2022 die Schweizer Hochschulen EHB, EPFL, UZH, ZHAW sowie die HSG, unter der Leitung von Evrlearn-Gründer Felix Schmid und HSG-Wirtschaftsinformatiker Dr. Roman Rietsche, an der Entwicklung der «Swiss Circular Economy of Skills and Competences» (SCESC). Die von Innosuisse bewilligte Plattform für Weiterbildungen soll allen Menschen eine selbstbestimmte Karriere ermöglichen.

 

7. Dezember 2021. Mehrere Ausbildungsgenerationen stehen derzeit vor den grössten Weiterbildungs-Defiziten aller Zeiten: Die globale Wirtschaft beschleunigt schneller als je zuvor, neue Technologie nimmt Einzug im Alltag und «Remote Work» hat die Mehrheit der Jobs einem neuen weltweiten Wettbewerb ausgesetzt. Krisen wie die Covid-19-Pandemie treiben die digitale Transformation deutlich an.
 

Den Wandel im Bereich Bildung und Lernen bestätigen folgende Erkenntnisse:

 

  • Digitalisierung und Automatisierung: Die Nachfrage nach digitalen und technologischen Skills wird in den kommenden zwei Jahren um 55% steigen. (McKinsey Global Institute)
  • Schlechte Vorhersehbarkeit der eigenen Laufbahn: Die Berufsbilder ändern sich immer schneller und damit auch die damit verbundenen Kompetenzprofile. Entwicklungen von der einen Industrie in eine andere werden immer häufiger.
  • Fehlendes Bewusstsein: Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung ist sich nicht bewusst, dass sie sich für den neuen Jobmarkt aktiv weiterbilden muss. (Deloitte Schweiz)
  • «The Great Resignation»: Im August 2021 kündigten in den USA 4.3 Millionen Menschen infolge der Covid-19-Pandemie ihre Arbeitsstelle, um Leben und Karriere wieder selbst in die Hand zu nehmen. Obschon die Mehrheit dabei noch keinen neuen Job in Aussicht hatte.

 

Systemwechsel und Potenzialentfaltung

Das Projektteam von «Swiss Circular Economy of Skills and Competences» ist sich einig: Es braucht einen Systemwechsel, um den enormen Umschulungs- und Weiterbildungsbedarf von Einzelpersonen und Unternehmen zu decken. Das individuelle Potenzial jeder und jedes Einzelnen müsste freigesetzt werden, um so die führende Position der Schweiz im Bereich Innovation und Bildung zu sichern. Eine neue «Swiss Circular Economy for Skills» könnte die Kluft zwischen Individuen, Unternehmen und Bildungsanbietern schliessen, indem sie die Art und Weise, wie Menschen ihre Fähigkeiten, ihren Karriereweg und ihren lokalen Arbeitsmarkt verstehen, neu erfindet.
 

Menschen werden mit lokalen Stellenangeboten zusammengebracht, die zu ihrem Wunschberuf passen, oder mit Kursen, um sich für ihren Wunschberuf weiterzubilden. All dies wird durch digitales Coaching und neue Gemeinschaften unterstützt, die «lebenslanges Lernen» zu einer neuen Gewohnheit machen. Ein neuer, gemeinsam geschaffener Fonds wird allen Menschen Zugang zu Weiterbildungsmassnahmen verschaffen. Alles baut auf einer gemeinsamen Sprache der Kompetenzen auf und erfolgt in guter Zusammenarbeit mit dem Schweizer Berufsbildungssystem.

Projektstart im Februar 2022

Ein transdisziplinäres Team, zusammengesetzt aus starken pädagogischen Führungskräften, hochqualifizierten technischen ExpertInnen und erfahrenen MarktplatzarchitektInnen, wird im Februar 2022 mit der Projektarbeit beginnen. Die Arbeit soll sehr produkt- und designorientiert gestaltet sein und insgesamt vier Jahre dauern. Das Team wird den kompletten «Lernpfad» in der neuen Kreislaufwirtschaft von Fähigkeiten und Kompetenzen abbilden. Erste Anwendungen werden angesichts der Dringlichkeit beschleunigt live sein.

Kreislaufwirtschaft auf fünf Pfeilern

Die Kreislaufwirtschaft, die sog. «Circular Skill Economy», soll sich auf fünf Pfeiler stützen:

 

  • Gemeinsame Sprache hinsichtlich Skills: um das noch unterschiedliche Verständnis von Personen, Unternehmen und Weiterbildungsanbietern über Skills anzugleichen.
  • Hochspezialisiertes Matchmaking: Individuelle Fähigkeiten und Ambitionen werden mit Weiterbildungsmöglichkeiten, Menschen und Jobs auf der ganzen Welt zusammengebracht.
  • Beeindruckendes Kompetenzportfolio: Dieses soll das Spektrum der eigenen Fähigkeiten veranschaulichen und aussagekräftiger sein als beispielsweise Zertifikate und Lebensläufe. Das Portfolio ermöglicht die Potenzialentfaltung jeder und jedes Einzelnen und kann «als Schlüssel» in die neue Arbeitswelt eingesetzt werden.
  • Digitaler Coach: Dieser unterstützt lernende ganzheitlich und nachhaltig, so, dass sie Ihre Ziele so effizient und effektiv wie möglich erreichen können.
  • Neue «Lifelong Learning Communities»: Solche Communities gehen über Lerngruppen, Foren und Alumni-Organisationen hinaus, sie machen «Lifelong Learning» zu einer Gewohnheit.
  • Neue Technologien wie NLP, Recommendation engines und Blockchain: Alle Technologien werden auf einer Plattform miteinander verknüpft, sodass ihr volles Potenzial genutzt werden kann.

 

Grosses Netzwerk

Das Flagship-Konsortium ist als breit gefächertes Netzwerk zusammengesetzt. Es wird Anfang 2022 mit dem Aufbau der «Swiss Circular Economy of Skills and Competences» (SCESC) beginnen. Roman Rietsche des IWI-HSG schildert: «Das Netzwerk vereint exzellentes Fachwissen aus den Bereichen Marktarchitektur, Bildung, Motivationsdesign und Verhaltenswissenschaften und setzt künstliche Intelligenz sinnvoll ein, um eine hohe Wirkung zu erzielen. Die Schnittmenge aus Berufsausbildung, Bildung und Technologieexpertise verfolgt das Ziel, die zukünftige berufliche Kompetenzentwicklung zu fördern. Ausserdem – und das ist wahrscheinlich das Wichtigste – haben wir mit dem Startup «Evrlearn» einen starken Marktführer und eine solide Marktbasis, auf der die Innovation aufbauen kann.» Die Berufsverbände fungieren als wichtige Gatekeeper für die Umsetzung innerhalb des Konsortiums. Ein netzwerkbasiertes Governance-Modell, welches alle Beteiligten einbindet, rundet den umfassenden Ansatz ab.
 

Felix Schmid, Mitbegründer von Evrlearn, erzählt, wie die Mitglieder des divers zusammengesetzten Teams nach Zusage von Innosuisse in kürzester Zeit zueinander fanden und sich gemeinsam engagierten. Die Kombination von Bildungs- und Technologiebausteinen sowie eine brandneue Organisationsform zur Entwicklung der Innovation seien wahrscheinlich zwei der entscheidenden Elemente.
 

Zum Flagship-Konsortium zählen:

Forschungspartner:

 

  • École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Digital Vocational Education and Training Laboratory (D-VET) (Prof. Dr. Tanja Käser)
  • École Polytechnique Fédérale de Lausanne, Natural Language Processing Laboratory (UPBOSSELUT) (Prof. Dr. Antoine Bosselut)
  • Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St.Gallen (IWI-HSG) (Dr. Roman Rietsche)
  • Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität St.Gallen (IWP-HSG) (Prof. Dr. Bernadette Dilger)
  • Swiss Federal University for Vocational Education and Training (Prof. Dr. Antje Barabasch)
  • University of Zurich, Institute of Education, Chair for Vocational Education and Training & Adult Education (Prof. Dr. Katrin Kraus)
  • Zurich Universities of Applied Sciences, Institute for Applied Psychology (Prof. Dr. Christoph Negri)

Implementierungspartner:

  • Axelra AG (Dr. Thomas Bocek)
  • Evrlearn AG (Felix Schmid)

Verbände:

  • SwissBanking + Arbeitgeber Banken (Dr. Alexandra Steinberg, Dr. Balz Stückelberger)
  • SwissICT (Christian Hunziker)
  • SwissMem (Dr. Sonja Studer)

 

Stimmen aus dem Team

Prof. Dr. Antje Barabasch und die EHB freuen sich sehr über die Möglichkeit, ihr Wissen über innovative Lernkulturen in der Berufsbildung auf die betriebliche Erwachsenenbildung auszuweiten und nützliche Instrumente und Lernkonzepte für eine bessere Entwicklung der individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten zu entwickeln.
 

Claudia Beutter der ZHAW IAP sieht in einer Kreislaufwirtschaft nebst der individuellen Förderung des Zugangs zum Lernen auch einen Lerneffekt auf die Projekt-Beteiligten: Netzwerkfähigkeit und Kooperation als strategische Kompetenzen, die für eine qualitativ hochstehende und innovative Schweizer Wirtschaft aber auch für die Bildungslandschaft zentral seien.

 

Prof. Dr. Bernadette Dilger des Instituts für Wirtschaftspädagogik und Bildungsmanagement an der Universität St.Gallen sieht eine grosse Chance darin, dass individuelles Kompetenzentwicklungspotenzial freigesetzt wird. Die Plattform unterstützt das Zusammenfinden individueller Karrierewege mit veränderten Berufsprofilen. Dabei werde die individuelle Transformation mit der Entwicklung von Unternehmen sowie der Transformation des gesamten Berufsbildungssystems und des Arbeitsmarktes verknüpft. Für die Teilnahme an dieser Leitinitiative, die auf die Umgestaltung des Berufsbildungssystems in der Schweiz abzielt, ist ihr Team sehr dankbar.
 

Prof. Dr. Katrin Kraus der Universität Zürich ist der Meinung, dass für den Erfolg einer breit angelegten Initiative zur Höherqualifizierung in der Schweiz eine starke Verknüpfung zwischen innovativen Ansätzen und dem traditionellen Berufsbildungssystem entscheidend ist. SCESC suche auf vielversprechende Weise nach diesem Gleichgewicht.
 

Selbstverwirklichung und Individualisierung spielen in der heutigen Zeit eine immer wichtigere Rolle, findet Dominik Pfütze, Doktorand an der Universität St.Gallen. So werden Social-Media-Präsenz, Sportaktivitäten und Essensgewohnheiten an individuelle Vorlieben angepasst. Warum passen Menschen nicht auch ihre Ausbildung an eigene Präferenzen an? Dominik Pfütze erachtet das interdisziplinäre SCESC-Projekt als einen vorbildhaften Schritt in Richtung massgeschneiderte Ausbildung.
 

Kontakt für Rückfragen:
Dr. Roman Rietsche, Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI-HSG)
roman.rietsche(at)unisg.ch
 

Bild: Erstes persönliches Teamtreffen zur Feier der Flagship-Bewilligung durch Innosuisse. (Flagship supported by Innosuisse – Swiss Innovation Agency)

 

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