Frauenfeld
620 US-Militärbasen bringen auch der Schweiz Sicherheit

Die schweizerische Unabhängigkeit sei eine Mär, sagt der Frauenfelder HSG-Professor Christoph Frei. Für die Schweiz sei die wichtigste Organisation die Welthandelsorganisation. Für ihre Sicherheit hänge sie von den USA ab.

Judith Schuck
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Der Politologe Christoph Frei spricht im Casino Frauenfeld über die Energieknappheit.

Der Politologe Christoph Frei spricht im Casino Frauenfeld über die Energieknappheit.

Tobias Garcia

Jährlich gibt der Kanton Thurgau 425 Millionen Franken für den Import fossiler Energien aus. In der Schweiz machen die Fossilen 60 Prozent der Energien aus und diese sind zu 100 Prozent importiert. Regierungsrat Walter Schönholzer machte keinen Hehl daraus, dass es beim Strom eine grosse Abhängigkeit vom Ausland gibt. Er hoffe, der Krieg führe «bei all dem Leid» wenigstens dazu, «dass wir im Bereich Ausstieg aus den fossilen Energien weiterkommen».

Schönholzer sprach am Dienstag an einer Veranstaltung des Vereins für Geothermie Thurgau im Casino Frauenfeld. Die Abhängigkeit vom Ausland war auch das Thema des Hauptredners Christoph Frei.

Der Staatswissenschafter ist gebürtiger Frauenfelder und lehrt und forscht seit 15 Jahren an der Universität St.Gallen Politikwissenschaft. Unabhängigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit bilden laut Frei ein magisches Dreieck, doch könnten immer nur zwei Punkte miteinander korrelieren. «Wenn wir die Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit ernst nehmen, haben wir keine Sicherheit.»

Die Schweiz profitiert von offenen Grenzen

Am wichtigsten ist die Welthandelsorganisation Die Mär von einer unabhängigen Schweiz ging er vehement an. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs habe die Zollentgrenzung zunehmend für Energieverfügbarkeit und eine funktionierende Wirtschaft gesorgt: «Die Welthandelsorganisation ist die wichtigste Organisation für die Schweiz.» Die Schweiz verdiene jeden zweiten Franken im Ausland, sagte Frei:

Christoph Frei.

Christoph Frei.

Tobias Garcia
«Wir haben noch politische Grenzen, aber wirtschaftlich und sozial sind wir weitgehend entgrenzt.»

Die Grundlage für unser «süsses, gutes Leben» bildet die Globalisierung mit einer Kaufkraftsteigerung. Die letzten 30 Jahre waren für die Menschheit in Mitteleuropa die beste Zeit, die es jemals gab. Unsere Lebensweise gehe aber auf Kosten anderer Lebewesen, der Natur oder Menschen im globalen Süden. Doch auch wir bekommen die Folgen unseres Überflusses zu spüren.

Überschwemmungen und Dürren finden nicht mehr nur in weit entfernten Ländern statt. Die Wetterextreme nehmen bereits vor unserer Haustüre zu. Dass wir in diesem Wohlstand leben könnten, habe ausserdem einen sicherheitspolitischen Hintergrund:

«Die bewaffnete Neutralität ist ein Joke. Wir sind sicherheitspolitisch zu 100 Prozent abhängig. Unser gutes Leben hat die Voraussetzung, dass andere die schmutzige Arbeit machen. Die USA haben 620 Militärbasen auf der ganzen Welt.»

Unser Entwicklungspfad sei nicht nachhaltig und Globalisierung habe ihren Preis. Die Schweiz sei nicht neutral und käme nicht umhin, sich mit der Europäischen Union zu befassen. «Unsere gesamte Energie, die wir importieren, läuft über europäische Infrastruktur.»

Was die erneuerbaren Energien betrifft, seien wir viel weniger weit, als wir meinten. Spitzenreiter ist aktuell Dänemark mit einem Anteil von 50 Prozent erneuerbarer Energien. Deutschland kommt mit viel Anstrengung auf 28 Prozent. Der Rest von Europa liegt oft noch weit darunter, und weltweit betrachtet sind es im Jahr 2022 lediglich 14 Prozent. «Wir müssen die Realität ernst nehmen», mahnte Frei:

«Die Energiewende braucht viel mehr Zeit, als wir dachten.»

Auch müssten wir den Klimawandel ernst nehmen und ihm begegnen. Unser Energiebedarf wächst immer weiter. Dies führe zu der Logik, dass erneuerbare Energien nicht substituierten, sondern zusätzlich gebraucht würden. Das düstere Bild der Gegenwart ist aber, dass wir weg von der Nachhaltigkeit hin zur Sicherheit gingen. «Deutschland verstromt jetzt mehr Kohle als je zuvor», so der Professor.

Steigende Preise grösseres Problem als knappe Nahrungsmittel

Dass die Lebensmittelpreise steigen, hinge ebenfalls mit den steigenden Energiekosten zusammen, die es allerdings schon vor Russlands Angriffskrieg gegeben habe. «72 Prozent der Lebensmittelpreise sind Energiekosten.» Diese Nahrungsmittelpreiskrise sorge künftig für weit mehr Instabilität auf der Welt, wenn sie zu sozialen Unruhen aufgrund von Hunger führe.

Das Problem sieht Frei hier nicht einmal in der Nahrungsmittelknappheit, die bekämpft werden könnte, sondern in den steigenden Preisen. In Anbetracht der Realität, schloss Christoph Frei, «ist Demut angesagt».